Ich stoße immer wieder auf schöne neue Worte für altbekannte Phänomene. So fiel mir in einem Steuerberater-Rundschreiben der Begriff „Phantomlohn“ auf. Das Phänomen, das damit gemeint ist, kennen ich natürlich – aber dieser Begriff war mir bislang unbekannt. Dabei hat er alles, was ein gutes Schlagwort ausmacht. Er ist ebenso originell wie treffend.
Worum geht es? Um Lohn, den der Arbeitnehmer nicht erhält – obwohl er einen Anspruch darauf hätte. Aber von dem weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer wissen, dass es ihn überhaupt gibt. Und wenn sie es wissen, es jedenfalls nicht wollen.
Ein Beispiel sind steuerfreie Zuschläge, etwa für Nacht- oder Sonntagsarbeit. Entgegen verbreiteten Auffassungen ist der Arbeitgeber ja nicht verpflichtet, solche Zuschläge zu zahlen. Trotzdem wird das aber gerne gemacht – denn sie sind lohnsteuerfrei, d.h. also mehr Netto vom Brutto. So kann der Arbeitgeber seine Leute motivieren, zu diesen ungünstigen Zeiten zu arbeiten, weil sie von den Zuschlägen echt was haben und sie nicht von der Steuerprogression fast aufgefressen werden. Denn dann wären sie ja nur noch Kosten ohne Nutzen.
Das Problem ist: Manchmal kriegen Arbeitnehmer ja auch Arbeitsentgelt, ohne dass sie arbeiten. Die wichtigsten Fälle sind Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Da sie in dieser Zeit aber weder nachts, noch sonntags arbeiten, sondern eben gar nicht, kommt man ja zunächst nicht auf die Idee, dass sie diese Zuschläge als Teil des weiterbezahlten Entgelts trotzdem bekommen.
So ist es aber: Die Arbeitnehmerin oder der Arbeiternehmer, die oder der Entgelt bekommt, obwohl er nicht arbeitet, kriegt nämlich genau das Entgelt, das er bekommen hätte, wenn er gearbeitet hätte. Und wenn sie oder er nachts oder am Sonntag gearbeitet hätte, etwa weil diese/r Arbeitnehmer/in immer so arbeitet oder so zum Arbeiten eingeteilt war, bevor die Krankheit sie oder ihn niedergestreckt hat, gehören eben auch die Zuschläge zur geschuldeten Entgeltfortzahlung. Nur sind sie dann – Petitesse am Rand – nicht mehr steuerfrei.
Der Arbeitgeber wird diese Zuschläge während Zeiten der Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsleistung aber oft nicht bezahlen – weil es entweder schon gar nicht weiß oder jedenfalls nicht will. Betroffene Arbeitnehmer werden sich auch selten beschweren – weil sie es noch weniger wissen und wenn doch, sich jedenfalls nicht trauen oder das selbst als unverschämt empfinden. Man muss ja auch schon ziemlich skrupellos sein, um allen Ernstes seinem Chef unter die Augen zu treten und zu sagen: „Ich bin zwar letzte Woche in der Nachtschicht ausgefallen, weil ich die Grippe hatte, und deshalb mussten Kollegen Überstunden machen und Kunden vertröstet werden – aber ich will nicht nur mein normales Entgelt, sondern bitteschön auch noch den Nachtzuschlag.“ Macht man doch nicht, wenn man sich in diesem Betrieb wohlfühlt und dort weiter arbeiten will.
Wer da aber gar keine Skrupel hat, sind die Betriebsprüfer. Die schauen sich nämlich gerne die Entgeltabrechnungen gerade für Krankheits- und Urlaubszeiten an und überprüfen, was dort nicht abgerechnet wurde, aber hätte abgerechnet werden müssen. Und erklären dann den überraschten, empörten und frustrierten Arbeitgebern, dass Sie auf diese nicht abgerechneten Lohnbestandteile doch bitteschön noch die Sozialversicherungsbeiträge nachentrichten mögen. Deswegen also „Phantomlohn“: Der Arbeitnehmer bekommt ihn gar nicht, Sozialversicherungsbeiträge fallen darauf aber trotzdem an. Und der Arbeitgeber haftet in diesem Fall auch für den Arbeitnehmeranteil, obwohl der Arbeitnehmer ja gar nichts bekommen hat.
Aktuell wird das Thema im schon nicht mehr ganz so Neuen Jahr aber besonders, weil ja zum 1. Januar 2020 der Mindestlohn erhöht worden ist. Das bedeutet, dass die 450-Euro-Grenze für geringfügig Beschäftigte schon nach weniger Arbeitsstunden pro Monat erreicht wird. Da kann einiges schief gehen:
Zum einen kann es sein, dass ein/e geringfügig Beschäftigte/r genauso viel arbeitet wie vorher, aber trotzdem nur 450,- € pro Monat erhält. Dann ist der Mindestlohn unterschritten. Oder er arbeitet zwar weniger Stunden fürs gleiche Geld, aber der Arbeitsvertrag, der ja eine bestimmte Stundenzahl enthalten muss – wenn nichts vereinbart ist, gelten laut Gesetz im Zweifel 20 Stunden pro Woche und damit ist man auf jeden Fall aus der geringfügigen Beschäftigung raus – wird nicht entsprechend angepasst.
So oder so: Der Betriebsprüfer schaut sich an, wie lange der oder die geringfügig Beschäftigte denn tatsächlich gearbeitet hat oder nach Arbeitsvertrag hätte arbeiten müssen, nimmt den höheren Betrag und multipliziert ihn mit dem Mindestlohn (oder auch einem vertraglich vereinbarten höheren Stundenlohn): Wenn dann rauskommt, dass in dem Monat tatsächlich mehr als 450,- € Lohn angefallen wären, werden plötzlich normale Sozialversicherungsbeiträge fällig anstelle der Pauschalen, die sonst bei geringfügig Beschäftigten abgeführt werden. Zumindest der Arbeitnehmer ist auf der sicheren Seite: Wenn bei ihm eigentlich dann netto weniger rauskäme, muss er das „zu viel“ erhaltene Geld nicht zurückzahlen. Der Arbeitgeber haftet ganz allein.
Nicht nur aus diesen Gründen sollten Arbeitsverträge fachkundig gestaltet und regelmäßig überprüft und aktualisiert werden. Wir helfen dabei gerne.
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